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Unsere Seminarwoche zu Gadjé-Rassismus im zweiten Projektlaufjahr des Demokratie leben! - Projektes stand ganz unter dem Motto: Aktiv werden gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gadjé-Rassismus!

Im Zuge ihres Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) nahmen die 22 Freiwilligen des BIQ an einem Seminar unseres Modellprojektes zu Gadjé-Rassismus in der Woche vom 14.-18.11.2016 teil. Zu Beginn des Projekts sieht der überarbeitete Musterplan eine allgemeine Auseinandersetzung mit der Thematik von Vorurteilen und Vorurteilsentstehung vor. Am ersten Tag wurden dementsprechend gemeinsam mit den Teilnehmenden eigene Vorurteile behandelt und die diesen zugrundeliegenden Funktionen analysiert.

Der zweite Tag widmete sich ganz explizit dem Rassismus gegen Sinti und Roma. Anhand verschiedener Methoden wurde sich sowohl mit dieser spezifischen Form des Rassismus als auch mit der Geschichte der Roma und Sinti auseinandergesetzt. Am dritten Tag konnten sich die Teilnehmenden nach persönlichem Interesse jeweils für einen der vier Workshops entscheiden. Zur Auswahl standen: eine Exkursion zum Zwangslager in Marzahn und dem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas (in Berlin Mitte); die Methode „Pimp-your-Identity“; ein Medienkritischer Workshop oder der Besuch bei einer selbstorganisierten Jugendorganisation von Roma und Nicht-Roma in Berlin. Am vierten Tag wurden die Teilnehmenden selbst aktiv und planten eine Miniaktion und deren Umsetzung. Am letzten Tag präsentierten alle Gruppen ihre Miniaktionen und das Seminar endete mit einer ausführlichen Reflexion und Rückmeldung zur Woche.

MINI-AKTIONEN

1. Interviews in der Wilmersdorfer Straße

Projektidee:
Im Kontext des Seminars haben sich die zwei Gruppenmitglieder das erste Mal mit dem Themenfeld des Rassismus‘ gegen Sinti und Roma beschäftigt. Die Dringlichkeit einer verstärkten Problematisierung des Seminarthemas wurde ihnen in diesem Zuge bewusst. Basierend auf der Idee, so viele Menschen wie möglich so direkt wie möglich zu erreichen, um die Auseinandersetzung mit dem Rassismus gegen Sinti und Roma zu stärken, entschied sich diese Projektgruppe Interviews in der Wilmersdorfer Straße zu führen. Ziel war es nach eigenen Angaben, das „Denken anzuregen“ und ein Meinungs-/Stimmungsbild einzufangen.

Umsetzung:

Nachdem die Idee einer Meinungsumfrage sich in der Gruppe selbst schnell verfestigte, wurden im Rahmen der Kollegialen Beratung dagegen Zweifel an der Sinnhaftigkeit und Umsetzbarkeit der offenen Fragen geäußert. Besonders die (Ver-)Wertung der Antworten und der Umgang mit diesen, rief bei den anderen Gruppen Unsicherheiten hervor. Letztendlich entschied sich die Gruppe jedoch für die offenen Fragen und gegen das als Alternative vorgeschlagene Wissensquiz. Orientiert an den persönlichen Stärken der Gruppenmitglieder, stand die Aufgabenteilung innerhalb der Gruppe bereits zu Beginn der Idee fest.
Ausgestattet mit einer Kamera und einem Mikrophon befragten sie über 20 Menschen in einem Zeitraum von 1 ½ Stunden in der Wilmersdorfer Straße.

Kommentar:

Auffällig war, dass die Gruppe ein hohes Maß an Engagement aufzeigte, die - für sie - neue Thematik öffentlich zu problematisieren. Unabhängig von der Qualität der Interviews, verweist dieses Interesse auf Gedankenprozesse, die im Zuge des Seminars angeregt wurden. Zudem wertete die Gruppe im Anschluss an die Befragung die Antworten aus. Sie konnten feststellen, dass die jungen Befragten der Thematik offen und interessiert gegenüberstanden, wohingegen das ältere Publikum weniger aufgeschlossen auf die Auseinandersetzung reagierte.
Im Verlauf der Aktion stellte sich ein weiteres Ziel der Gruppe ein: Sie wollten eine Facebookseite mit den Interviews erstellen um den Wirkungskreis der Miniaktion zu erweitern.

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2. Sticker

Projektidee:
Eine andere Gruppe bestehend aus fünf Mitgliedern entwickelte die Idee, mithilfe eines Eyecatchers den Rassismus gegen Sinti und Roma bekanntzumachen. Ein Sticker erschien für die Gruppe ein geeignetes Mittel. Ziel der Sticker war es, „Aufmerksamkeit zu erregen, sodass die Menschen darüber reden“. Neben dem Design der Sticker, setzte sich die Gruppe außerdem als Aufgabe, diese an öffentlichen Plätzen anzubringen.

Umsetzung:

Am Anfang der Aktion prägte der Einfall, das Schaf der „Ohne dich ist alles Doof“-Serie aufzugreifen und für die eigene Idee umzuwandeln, die Planung der Gruppe. In stark ausgeprägter (Selbst-)Reflektion debattierten die Teilnehmerinnen im Verlauf der Erarbeitung jedoch über die Gefahr der Reproduktion von rassistischen Bildern, auch im Kontext der Dekonstruktion, und entschieden sich schließlich gegen ihre Anfangsidee. Beinahe alle Gruppenmitglieder haben am vorherigen Tag an der Exkursion zu einer selbstorganisierten Roma und nicht-Roma Jugendgruppe in Berlin teilgenommen, wobei ihnen das Logo der Jugendorganisation sehr eindrucksvoll in Erinnerung geblieben ist. Nicht nur erwiesen sich die Farben des Logos aufgrund ihrer Vielfalt und Allegorie auf die Flagge als überzeugend, auch der Slogan „Dikhen Amen“ inspirierte die Gruppe. Gemeinsam mit einem Grafiker gestalteten die Teilnehmerinnen den ganzen Nachmittag an einem ästhetisch-ansprechendem Logo. Ein Teil der Gruppe arbeitete mit Stift und Papier, der andere Teil nutzte den Computer um die gemalten Entwürfe zu skalieren und anzuordnen. Per Zufall erwies sich der Durchdruck des mit Filzstiften nachgemalten „Dikhen Amen“-Logos als besonders überzeugend. Aufgrund des perfektionistischen Selbstanspruchs wandte die Gruppe die ganze ihr zur Verfügung stehende Zeit für das Design des Stickers auf, sodass das ursprüngliche Ziel der Verbreitung der gedruckten Sticker nicht ausgeführt werden konnte.

Kommentar:

Während der Planung und des Gestaltens der Sticker wiesen alle Gruppenmitglieder ein hohes Maß an Engagement und Reflektion auf. Die durch das Seminar angeregte Auseinandersetzung mit der Macht von Sprache hielt die Gruppe dazu an ein neues Hashtag für das Seminar zu entwickeln, um sich von einer Reproduktion rassistischer Begriffe zu lösen. Das neue Hashtag sollte ohne einen Ausdruck auskommen, der zu Teilen an die diskriminierende Bezeichnung von Sinti und Roma erinnert. Ihr Entwurf rekurriert auf die Bedeutung des Wortes „Rom“. #RomheißtMensch




3. Glücksrad

Projektidee:
Eine aus sechs Teilnehmenden bestehende Gruppe formulierte ihr Ziel folgendermaßen: „Menschen mit Wissen konfrontieren, mit dem sie nicht alltäglich in Kontakt kommen“ und „Sensibilisieren für das Thema“. Ad hoc entwickelten sie mehrere Ideen. Zum einen sollte ein selbstgebautes Glücksrad als Medium für das Wissensquiz dienen, zum anderen manifestierte sich der Wunsch, einen Informationstext, der über die Geschichte von Sinti und Roma und den dieser Minderheit entgegengebrachten Rassismus aufklärt, in Menükarten in Restaurants zu hinterlegen um eine möglichst breite Masse an diversen Menschen zu erreichen. Außerdem sollten zusätzlich Flyer, Buttons und Luftballons erstellt werden.

Umsetzung:
Nachdem in der Kollegialen Beratung das Vorhaben der Gruppe als sehr ambitioniert eingestuft wurde und der Vorschlag aufkam, kooperativ mit den anderen Gruppen bezüglich der Flyer und Buttons zu arbeiten, reduzierte die Gruppe ihr eigenes Vorhaben auf das Glücksrad und den Informationstext. Bei der Befragung mithilfe des Glücksrads sollten dann die in den anderen Gruppen entworfenen Sticker, Flyer und Buttons mit verteilt werden. Im Zuge dieser Entscheidung teilte sich die Gruppe selbstwirksam in zwei Teams. Ein Teil der Gruppe fuhr in den Baumarkt und designte das Glücksrad. Das andere Team war für den Informationstext zuständig. Die Fragen für das Wissensquiz wurden der Quiz-Methode des Seminars entnommen. Ziel des Informationstextes war es, sowohl die geschichtliche als auch die aktuelle Relevanz des Themas zu unterstreichen. Außerdem wurden Inspirationen für Handlungsweisen und Links zum Thema bereitgestellt. Um 16:00 Uhr konnte die gesamte Gruppe begleitet von einem Kameramann mit der Durchführung ihres Plans beginnen. In einem Zeitraum von 1 1/2h befragten sie über 40 Personen, zunächst direkt in der S-Bahn, danach auf dem Bahnsteig, weil dieser sich als geeigneter erwies.

Kommentar:
Besonders ausgezeichnet hat diese Gruppe hier ein außerordentliches Maß an Selbstorganisation und Engagement. Während des Erstellens des Informationstextes stießen die beiden Autoren auf Kritik der Teamer*innen, da die gewählte Sprache zum Teil zu akademisch und anspruchsvoll erschien. In diesem Kontext wurde erneut auf die Macht von Sprache verwiesen, der neben der Diffamierung auch Exklusion als Diskriminierungsmerkmal immanent ist. Um diese Form von Diskriminierung zu umgehen, entschieden sie sich durch Fußnoten komplexe Terme zu erläutern. Die Kooperation mit den anderen Gruppen erwies sich im Nachhinein als nicht möglich, da die Umsetzung der Flyer, Buttons und Sticker noch nicht vollendet war.

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4. Rap

Projektidee:
Eine konkrete Idee für dieses Projekt gab es zu Beginn der Gruppenfindung nicht, da alle Gruppenmitglieder anfänglich Teil einer anderen Projektgruppe waren. Sie konnten jedoch dazu inspiriert werden sich dem Rap-Projekt unter der Aufsicht der Berliner Rapperin Alice anzunehmen. Demzufolge einte die Gruppe eher das Interesse an Rap und Musik als eine gemeinsame Idee oder Intention.

Umsetzung:
Da die Berliner Rapperin Alice das erste Mal als Expertin im Rahmen des Workshops zum Thema Rassismus gegen Sinti und Roma in die Kaubstraße gekommen ist, nahm das spezifische Rap-Projekt während der Umsetzung erst Gestalt an. Es wurden technische Praxen des Raps wie Triple oder Double geübt, aber auch Schreibübungen und Denkdiktate durchgeführt, um den drei Teilnehmerinnen einen Einstieg ins Thema zu ermöglichen. Außerdem wurde viel über die eigenen Diskriminierungserfahrungen diskutiert und Themen wie Unsichtbarkeit und Opferrolle problematisiert. Besonders ausgezeichnet hat diesen Workshop die intime Atmosphäre und die Offenheit der Teilnehmenden sich selbst und der Gruppe gegenüber. Nachdem verschiedene Songs aus der linkspolitischen Rap-Szene angehört und besprochen wurden, haben sich die drei Teammitglieder an ihre eigenen Texte gewagt. Entstanden sind drei sehr individuelle und persönliche Texte. Alice hat während der Projektumsetzungsphase die selbstgeschriebenen Texte zu der Musik von Eminems Lose Yourself gerappt um zu verdeutlichen wie sich ihre Texte als Song anhören könnten. Die Mitglieder selbst fühlten sich zunächst selbst nicht in der Lage, ihre Texte zu rappen.

Kommentar:
Nachdem die Gruppe sich etwas verspätet gefunden hatte, arbeitete sie die ganze Umsetzungsphase über separat in einem anderen Raum an ihrem Projekt. Nach eigenen Angaben hatten die drei Mitglieder zunächst Respekt vor dem Thema. Durch die Gestaltung der Aufgaben konnte jedoch schnell eine sehr intime und vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen werden. Alice vermochte es, die Teilnehmenden zu Offenheit und Reflektion anzuregen, so dass sehr persönliche und ehrliche Texte entstanden sind, die sogar trotz Schamgefühl bei der Präsentation vorgetragen wurden. Die Überwindung des Schamgefühls manifestiert die auffallende Gruppendynamik und das außerordentliche Vertrauen innerhalb der Gruppe. Durch das Medium Rap und die Expertin konnte ein einzigartiger Zugang zum Thema Diskriminierung geschaffen werden.

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5. Flyer und Buttons

Projektidee:
Als Inspirationsquelle diente der Gruppe die Exkursion vom vorherigen Tag zum Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Dabei wurde ihnen bewusst, wie wenig Aufmerksamkeit dieser Minderheit und dem ihr entgegengebrachten Rassismus in der Öffentlichkeit eingeräumt wird. Demzufolge entschieden sie sich, einen informativen Flyer zu entwerfen. Zudem war es ihnen wichtig, sowohl Einheimische als auch Tourist*innen für ihr Projekt zu gewinnen, sodass neben einer deutschen auch eine englische Version verfasst werden sollte um „Aufmerksamkeit für das Roma und Sinti Denkmal“ zu schaffen. Um diesem Ziel noch mehr Ausdruckskraft zu verleihen, wurde außerdem ein Wegweiser vom Brandenburger Tor bis zum Denkmal geplant.

Umsetzung:
Damit ihrem Flyer nicht das gleiche Schicksal widerfährt wie vielen anderen Flyern, die am Brandenburger Tor verteilt werden, setzte die Gruppe sich als explizites Ziel, einen gelungenen Eyecatcher zu finden. Ursprünglich sollte diese Funktion die Figur des Uncle Sam übernehmen. In der Kollegialen Beratung allerdings wurde von der Verwendung dieses Bildes abgeraten, da keine Verbindung zum Thema besteht. Außerdem stand der Inhalt des Flyers zur Debatte. Idee war es, einen Teil des Flyers der Aufklärung über die Minderheit zu widmen. Problematisch dabei erschien jedoch die Gefahr einer Reproduktion von Homogenität, so dass angeraten wurde, die Auswahl an Informationen sehr sorgfältig und kritisch zu bestimmen. Nach der groben Flyereinteilung, einigte die Gruppe sich schließlich darauf geschichtliche Fakten, eine Karte mit dem markierten Denkmal, weiterführende Links, die Geschichte Johann Trollmanns als empowerndes Beispiel und eine Anregung zum selbstkritischen Denken in den Flyer aufzunehmen. Während der Gestaltung und Textformulierung zeigte sich eine sehr perfektionistische Erwartung an das Produkt, sodass die Gruppe nach geraumer Zeit immer wieder den Mut und die Motivation verlor. Bis in die späten Abendstunden arbeiteten sie am Verfassen der Texte und der Auswahl der Bilder, sodass ihr ursprüngliches Ziel, die Flyer am Brandenburger Tor zu verteilen, aufgegeben werden musste.

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